Vernetzt, Theorie und Praxis

Wie lässt sich die theoretische und praktische Ausbildung besser vernetzen? Eine Antwort hierauf haben Lehrende der Berufsfachschule für Gesundheits- und Krankenpflege der Schwesternschaft Nürnberg vom BRK e.V. zusammen mit Lehrenden in praktischen Einsatzfeldern gesucht und gefunden

Berufsfachschule und Einsatzfelder in der Praxis das sind die beiden zentralen Lernorte der dreijährigen Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin. Erworben wird hier die fachliche, methodische, personale, soziale Kompetenz und vor allem auch die berufliche Handlungskompetenz. Insbesondere der Erwerb der beruflichen Handlungskompetenz ist davon abhängig, dass Theorie und Praxis sinnvoll miteinander vernetzt sind.

 

Wird die bundesgesetzliche Ausge-staltung der praktischen Ausbildung näher in den Blick genommen, so haben die Praxisfelder für qualifizierte Praxis-anleitung und die Berufsfachschulen für adäquate Praxisbegleitung zu sorgen. Vor diesem Hintergrund entstand in der Berufsfachschule für Krankenpflege der Schwesternschaft Nürnberg vom BRK e.V. die Idee, mit einem Kooperations-partner des Lernortes Praxis ein breit angelegtes Projekt zur Vernetzung theoretischer und praktischer Ausbildung durchzuführen. Doch wie soll eine fachlichinhaltliche sowie methodisch sinnhafte Vernetzung von Aus- bildungsinhalten aussehen? Am Lernort Schule erleben die Schülerinnen und Schüler zunehmend und mit ansteigendem Schwierigkeits- grad fächerintegrativ gestaltete Lernsitu-ationen, die an konkreten pflege-beruflichen Problemstellungen aus-gerichtet sind. Sie bearbeiten die Aufgaben auf der Basis des selbstorganisierten Lernens vor wiegend selbständig, werden dabei von den Lehrenden als Lernberatern eng betreut und erzielen auf diese Weise beachtliche Lernerfolge. Im Vordergrund des Schulcurriculums stehen Unterrichtsmethoden, die die Schüler aktivität im Sinne von Eigenver antwortung und Handlungskompetenz anregen und fördern.

Diesem Lerntheoretischen Hintergrund aus dem Schulbereich sollte das geplante neue Lernangebot im praktischen Bereich Rechnung tragen. Ein herausragender Schlüsselbegriff ist hierbei das problemorientierte Lernen, so dass sich Vertreter des Lernortes Schule und Praxis darauf einigten, ein innovatives Lernangebot auf der Basis des problemorientierten Lernens gemeinsam zu entwickeln und in die praktische Ausbildung zu implementieren.

Problemorientiertes Lernen steht in direktem Zusammenhang mit dem Training fachlicher, methodischer, sozialer und personaler Kompetenz. Es entspricht deshalb der Handlungs-orientierung als Unterrichtsprinzip, bietet den Lernenden vielfältige praxisä bezogene Handlungsspielräume, steigert die Schüleraktivität und erlaubt es, die für das nachhaltige Lernen und Problemlösen so wichtigen Fehler machen zu dürfen, ohne mit Kons-equenzen im Sinne von Sanktionen rechnen zu müssen. Problemorientiertes Lernen ist an den Lernorten Schule wie Praxis stets an einem konstruierten Fallbeispiel ausgerichtet,

Problemorientiertes Lernen versteht sich didaktisch im Feld des Konstruktivismus verortet. Lernen findet in diesem Verständnis als selbst gesteuerter, sozialer, aktiver, konstruktiver und problemorientierter Prozess in einer von Tutoren begleiteten Kleingruppe statt. Kennzeichnend ist das Lernen in einem beruflich realen Kontext, das die Entwicklung einer elaborierten Wissensbasis befördert und das Erzeugen „trägen Detailwissens" verhindert das eine konkrete, realistische pflegeberufliche Problemstellung trans- portiert. Wird die Methode wie im hier beschriebenen Projekt an die Modalitäten der Praxis angepasst, so liegt ihre besondere Stärke darin, mit den Lernenden an Fällen arbeiten zu können, die unmittelbar der Pflegepraxis des Fachgebietes entsprechen, wie sie diese in ihrem aktuellen Stationseinsatz erleben. Die Qualität der interdisziplinär usgerichteten Problem- konstruktion gilt als entscheidende Größe für die Qualität des Lernprozesses. Die Probleme des Fallbeispiels lösen die Lernenden in Kleingruppen von sechs bis acht Personen nach den Prinzipien des „Siebensprungs", der den Lernprozess strukturiert

 

  1. Verständnisfragen klären,
  2. Einigung auf die zu erarbeitenden Themen,
  3. Ideen sammeln (Brainstorming),
  4. Ideen sortieren,
  5. Lernziele formulieren,
  6. Selbststudium,
  7. die erarbeiteten Lerninhalte diskutieren.

 

Konkret sieht das im neu entwickelten Lernangebot so aus: Die Lernenden werden bei ihrem gesamten Lern- und Problemlösungsprozess während eines im Schülerdienstplan ausgewiesenen „Praxislerntages" im Praxisfeld von zwei weitergebildeten Praxisanleitern in der Rolle als Tutoren unterstützt. Die Kleingruppen definieren im von Tutoren begleiteten Gruppengespräch die zentralen Fragestellungen des Falles, analysieren die Probleme im Wege eines Brainstormings, aktivieren und überprüfen ihr vorhandenes fachliches Vorwissen zum Fall, gliedern dieses und formulieren schließlich eigene Lernfragen, deren Bearbeitung sie zur Lösung der pflegeberuflichen Fragestellungen als notwendig erachten. In einer breit angelegten Studienphase erarbeiten sich die Lernenden, mit gezielter Unter- stützung der Tutoren eigenverantwortlich allein oder zu zweit das gesamte Fachwissen zur Lösung der Problemaufgabe. Ihre Lernergebnisse werden ab- schließend in der Gesamtgruppe präsentiert und evaluiert. Problemorientiertes Lernen (kurz: POL) bietet den Schülerinnen und Schülern vor allem am Lernort Praxis interessante Studienmöglichkeiten der Klinik, die den eigenverantwortlichen  Problem- lösungsprozess spannend und abwechslungsreich gestalten. Hier sind beispielsweise die Nutzung der fachwissenschaftlich ausgestatteten Klinikbibliothek und des klinikinternen Intranets zu nennen und die Durchführung von Experteninterviews mit erfahrenen Pflegefachpersonen, Fachärzten oder weiteren Beteiligten des interdisziplinären Teams zur Lösung der im Fall aufgeworfenen pflegeberuflichen Problematik.



Karin Radke (links) und Sabine Hildenbrand
Karin Radke (links) und Sabine Hildenbrand

Das Projekt:  „POL-Tag”

Das neue Lernangebot mit dem Namen POLTag, das wie beschrieben methodische und inhaltliche Strukturen von Schule und Praxis während eines Praxiseinsatzes der Auszubildenden miteinander vernetzen soll, wurde als Projekt etabliert. Die teilnehmenden Kliniken waren die Klinik für Neurologie, die Klinik für Physikalische Medizin und Fachübergreifender Frührehabilitation sowie die Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Klinikum Nürnberg Süd. Wichtig bei dieser Auswahl war es, dass die Projektmitarbeiter zumindest über die Qualifikation „Mentor" verfügen oder eine Weiterbildung zum Praxisanleiter. Zunächst gab es Unter richt für alle Projektgruppenteilnehmer über die Inhalte des problemorientierten Lernens und des Siebensprungs. Fallbeispiele wurden erarbeitet und auf ihrer Basis der Siebensprung geübt. Alle hatten die Möglichkeit, die Rolle des Tutors und der Schülerinnen zu über- nehmen und zu üben. Die eigenen Erfahrungen machten deutlich, in welchem Umfang Problem- lösungskompetenz, kritisches Denken, Eigenständigkeit und Eigenverantwortung von den Lernenden in Zukunft erwartet wird. Schließlich wurde der Ablauf eines POL-Tages sehr detailliert erarbeitet und beschrieben. Vereinbart wurde, den Schülerinnen einen POL Tag (7,7 Stunden) pro Station anzubieten, jeweils einmal pro Monat. Erstellt wurden alle notwendigen Dokumente, Formblätter und Checklisten, die in den betroffenen Stationen hinterlegt sind.

 

Informationsblatt für alle.

 

Die Dokumentation beginnt mit der Planung der Tutoren, die den POL-Tag gestalten sollen und der Eintragung des Termins des POL-Tages durch den Dienstplanersteller. Nach einer Rückmeldung durch die Tutoren wird dieses Protokoll abgeschlossen und an den verantwortlichen Projektleiter, den Qualitätsmanagement-Beauftragten der Klinik, zur Evaluation weitergeleitet.

Das Informationsblatt für Auszubildende beinhaltet Informationen zum Ausbildungsangebot des POL-Tages, mit einer kurzen Definition des problem- orientierten Lernens und wichtigen Daten zum geplanten POL-Tag. Dieses Informationsblatt erhält jede Schülerin, für die die Teilnahme geplant ist, schon beim Einführungsgespräch, also am ersten Arbeitstag auf der jeweiligen Station. Ein Rückmeldebogen ermöglicht dem Lernenden, den POL-Tag zu beurteilen und es können Wünsche, Verbesserungen und Anregungen dokumentiert werden. Für die Fallbeispiele wurde eine einheitliche Form gewählt. Jedes Fallbeispiel besteht aus zwei Teilen:
Teil 1 beinhaltet den Text des Fallbeispiels mit den Angaben der Studienquellen und Interviewpartner zur Bearbeitung des Siebensprungs. Das Fallbeispiel wird den Lernenden zu Beginn des POL-Tages ausgehändigt. Teil 2 ist ausschließlich für die Tutoren bestimmt und beinhaltet die zu ermittelnden Lernfragen. Von den Tutoren wird ein gewisses Maß an fachlicher Flexibilität verlangt, so dass auch weitere Lernfragen möglich sind.

Teil 2 beinhaltet darüber hinaus Hausaufgaben, die den Lernenden die Möglichkeit bieten, in einem eigenverantwortlichen Selbststudium ihr erworbenes Wissen zu vertiefen.

Mit einer Probephase wurde im November 2005 begonnen. Die ersten Evaluationsergebnisse zeigen: Die Lernenden nehmen diese neue Art der Praxisanleitung sehr positiv und ohne Vorbehalte an. Bei allen Teilnehmenden bestanden wenige Vorkenntnisse zur didaktischen Methode, dem problemorientierten Lernen und der Durchführung des Siebensprungs. Die Bearbeitung von Fallbeispielen kannten einige Schülerinnen und Schüler bereits, doch fehlte ihnen die praktische Erfahrung in der Umsetzung des Siebensprungs. Der Erfolg, Wissen zu erwerben oder zu erweitern, ist natürlich immer abhängig von der Motivation der Lernenden und eng verknüpft mit der individuellen sozialen und persönlichen Kompetenz, die eine Effizienz des Lernprozesses positiv beeinflussen kann. Die fachliche Kompetenz einzelner Gruppenmitglieder kann stark differieren, doch besteht während des POLTages für alle die Möglichkeit, vom Wissen des anderen zu profitieren. Diese Überlegung führte uns schon früh zu der Entscheidung, dass der Ausbildungsstand bei der Auswahl der Lerngruppe keine bedeutende Rolle spielt. Bei allen Gruppen war eine sehr strukturierte Vorgehensweise bemerk-bar, vor allem in der Selbststudienphase, dem sechsten Schritt des Siebensprungs.

Ein wertschätzendes Miteinander und das Bestreben, sich möglichst viel Wissen anzueignen, kennzeichnete die durchgeführten POL-Tage. Aus den ausgewerteten Rückmeldebögen lässt sich schon in dieser Phase des Projektes erkennen, dass diese Methode der praktischen Ausbildung förderlich für den Lernprozess ist. Die Tutoren wurden als fachlich sehr kompetent beurteilt und ihre zu Beginn bestehenden Ängste, einen POL-Tag eigenverantwortlich zu planen und durchzuführen, konnten bereits nach kurzer Zeit abgebaut werden.

Die Lernenden haben das vielfältige Angebot der Studienquellen und Interviewpartner und die Möglichkeit, im Internet und Intranet zu recherchieren, sehr positiv beurteilt. Im Vergleich zu bisherigen Möglichkeiten der Wissenserweiterung ist durch dieses Lernfeldkonzept ein nachhaltiges theoretisches und praktisches Wissen zu erwarten. So kann der POL-Tag zu einem regelmäßigen Anleitungsangebot integriert werden.

Karin Radke, Sabine Hildenbrand,

Schwesternschaft Nürnberg vom BRK e.V.